Duell der Regenmacher

DER SPIEGEL 33/2007

860 Millionen Menschen leiden weltweit an Hunger, vor allem in Afrika. Wie kann man ihn besiegen? Mit Geld von außen – oder, wie auf Madagaskar, mit Reformen von innen?

Von Ralf Hoppe

Die Frau sitzt vor ihrer Hütte, die Hütte steht unter einem alten Baum. Es ist eine Schirmakazie, krummer, knorriger Stamm, die Baumkrone flach und ausgefranst. Fliegen surren, im Gesträuch rascheln kleine Schlangen. Die Frau vor ihrer Hütte verbringt hier die meiste Zeit des Tages, im Halbschatten, als hätte sie alle Zeit der Welt. Worauf sie wartet, fügsam, apathisch, kann sie selbst nicht genau sagen, vielleicht, dass etwas geschieht, dass Rettung naht, oder der Tod. Die Frau heißt Nada Ranassakar. Sie hat dunkle Haut, tiefe Augen, Waden wie Stöcke. Sie ist barfuß, die Sohlen ihrer Füße sind von Riefen durchzogen. Wie alt Nada ist, kann sie nicht genau sagen, Anfang vierzig, sagt sie, sie sieht älter aus. Nada ist Afrikanerin, sie lebt im Nordwesten Madagaskars, einen knappen Tagesmarsch von der Küstenstadt Mahajanga entfernt, sie hat keinen Mann, aber sechs Kinder, die alle hungern, so wie auch Nada selbst. „Macht nichts“, sagt sie, „sind wir gewöhnt“, sie lacht, krächzend, kratzig. Bis vor kurzem hatte Nada noch Arbeit. Und auch die älteren Kinder, Nampiantroa und Vitanenejy und sogar Soadanta mit ihren sieben Jahren, konnten auf den Reisfeldern arbeiten, die Sämlinge setzen. Während Nada jeden Tag in den Wald zog, totes Holz sammelte und in einer Grube zu Kohle verbrannte. Die schleppte sie in Säcken nach Mahajanga. Aber dann, vor etwa einer Woche, begann ihre Tochter Sambianaka, sieben Monate alt, heftig zu fiebern. Es konnte Malaria sein. Nada hörte auf zu arbeiten, und auch die älteren Kinder durften nicht mehr auf die Reisfelder, sondern mussten bei der Hütte bleiben und auf die Kleinen aufpassen. Nada wickelte Sambianaka in ein Tuch und band sie auf den Rücken und machte sich auf den Weg, zu Fuß. Nach fünf Tagen kam sie zurück. Fünf Tage hatten ihre Kinder Hunger. „Wenn wir nichts zu essen haben, nennen wir das Ramadan“, sie lacht, kratzig. Rund 2,6 Milliarden Menschen haben nach einer Studie der Weltbank weniger als zwei Dollar am Tag zum Leben. Mehr als 800 Millionen Menschen leiden Hunger, viele von ihnen sterben, langsam, denn sie sind so unterernährt, dass sie kaum noch Kraft haben zu arbeiten, um sich aus ihrer Misere zu befreien. Sie werden krank, sie sterben mutlos, würdelos. Auf Madagaskar grassieren unter anderem Malaria, Cholera, Durchfall und Wurmerkrankungen, Bilharziose, Tuberkulose, Pest – biblische Seuchen in globalen Zeiten. In Nadas Hütte, wo sie sich nachts zu siebt auf einer Matte aneinanderdrücken, wimmelt es von Wanzen, Fauchschaben, Kakerlaken, fingerlangen Tausendfüßlern. So wie Nada Ranassakar geht es mindestens 200 Millionen Menschen in Afrika, ihre Not lähmt einen ganzen Kontinent, und die Welt ist sich einig, dass ihnen geholfen werden muss, ehe sie dahinsiechen, ehe ihre zerrütteten Gesellschaften Terrorzellen ausbrüten, ehe Afrika ganz abgehängt wird – wo doch ein blühendes Afrika die Weltwirtschaft mit Wachstumsimpulsen versorgen könnte. Die Frage ist nur: Wie hilft man Afrika? Wie besiegt man den Hunger?

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