Entzweite Welten

DIE ZEIT 02/2005

Die Fischer von Kota Kuala Muda haben das Seebeben überlebt. Sie sehen sich im Einklang mit der Natur. Andere deuten die Katastrophe als Strafe Gottes. Die sozialen, ethnischen und religiösen Spannungen in Südasien werden weiter wachsen.

Von Michael Schwelien

Singapur Die Fischer von Kota Kuala Muda, einer Ansammlung von Dörfern an der malayischen Westküste, hatten in den Tagen vor dem Tsunami Seltsames erlebt. Ihre Netze waren voller als je zuvor. »Zehnmal so viele Fische wie sonst«, erzählt Razek Jamaluddin, »wir dachten, es sei ein Segen.« Die Fischer freuten sich über den reichen Fang, glaubten an ein gutes Zeichen zum Ende des Jahres. Bis Sonntag, als die See regelrecht zu kochen schien und die Fische von allein an Land sprangen. Da ahnten die Fischer von Kota Kuala Muda, dass sie böse, nicht gute Omen sahen. Als das Wasser sich schließlich hundert Meter zurückzog, schlugen sie Alarm. So rechtzeitig, dass sich alle 4000 Menschen von Kota Kuala Muda vor dem haushoch zurückkehrenden Meer in die höher gelegenen Schulen und Gemeindezentren retten konnten. Nun sehen sie darin ein Zeichen Gottes. Sie haben überlebt, glauben sie, weil sie im Einklang mit dem Schöpfer und seiner Natur leben.
Etwas weiter nördlich, in Richtung der thailändischen Grenze, fühlen sich die Menschen von Gott bestraft. Hier, an den Traumstränden von Penang, leben sie nicht von der Natur, sondern von den Touristen. Zulkifli Majid Rahman arbeitet als Lieferwagenfahrer. An den Tagen vor dem 26. Dezember sah er keine Zeichen, weder gute noch böse Omen. Es war reiner Zufall, dass er sich noch bei seiner Familie befand, als der Tsunami kam. Obwohl er selbst kaum schwimmen kann, stürzte er sich immer wieder in die Fluten. Er barg seine Frau, eine 14−jährige Tochter und das jüngste Kind, ein Baby noch, das er in einer Wiege aus Tuch in einem Baum festband. Ein weiteres seiner Mädchen starb in seinen Armen. Er hat fünf von seinen sieben Kindern verloren. Zulkiflis Frau, die Haare sittsam unter einem lindgrünen Kopftuch verborgen, nimmt es als unvermeidbaren Schlag hin. »Gott«, sagt sie, »hat uns das Leben nur geliehen.«

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