Indien leuchtet

DIE ZEIT 18/2004

Der Aufschwung sichert den Wahlsieg der Regierung. Doch viele Bauern bleiben arm.

Von Christiane Grefe

Neu Delhi Double digit, „zweistellig“. Das ist Indiens neues Mantra. 10,4 Prozent! Als die Regierung diesen Anstieg der Gesamtwirtschaftsleistung meldete und versprach, ein solches Bruttoinlandsprodukt auch für die Zukunft anzupeilen, schwelgte India Today: „Wachstum ist das ultimative Aphrodisiakum.“ Tatsächlich trifft man in Delhis Geschäftswelt in diesen Tagen auf lauter Beschwingte. Shashank Warty zum Beispiel, Vizechef der Taj-Mahal-Hotelkette, ist die personifizierte Zuversicht: „Im letzten Jahr hat sich die Zahl der Indien-Besucher verdoppelt“, sagt er, „und auch immer mehr Einheimische können es sich jetzt leisten, durchs Land zu reisen.“ Ein wenig Sorge bereite ihm nur, „ob wir mit dem Andrang Schritt halten“. Auch Yogendra Modi, Präsident des Dachverbandes der indischen Handelskammern FICCI, ist sehr zufrieden: „Jahrzehntelang hat die Regierung uns Unternehmern Vorschriften gemacht“, sagt er. „Jetzt sind wir frei und können importieren und produzieren, was und so viel wir wollen.“ In der Tat, überall schießen neue Wohnblocks und Einkaufszentren aus dem Boden, und über Delhis lebensgefährliche Straßen rasen neuerdings schicke junge Inder in offenen Cabriolets.
„India Shining“, „Indien leuchtet“: Mit dieser Anzeigenkampagne zur Wahl machen sich die Bharatiya Janata Party (BJP) des Premierministers Atal Bihari Vajpayee und ihre Koalitionspartnerin National Democratic Alliance (NDA) die wirtschaftliche Aufbruchstimmung geschickt zunutze. Es ist ja auch viel geschehen: Schritt für Schritt wurde die Ökonomie, die man noch immer in Fünfjahresplänen misst, vom Regelungsgestrüpp in der spezifischen indischen Mischung aus Staats- und Privatwirtschaft befreit. Die Regierung liberalisierte den Außenhandel, sie öffnete Staatsbetriebe für Investoren. Und sie baute Straßen. Stolz verweist Finanzminister Jaswant Singh auf Devisenreserven von 100 Milliarden Dollar. Indiens Aktienkurse ziehen nach oben. Der Mittelstand wächst, Einkommen steigen, und im Fernsehen wirbt die ICICI-Bank für ihre Kredite. „Jetzt ist es in Indien genauso wie überall auf der Welt“, sagt Yogendra Modi. „Wer Geld hat, der geht los und kauft ein.“ Aber wer keins hat?

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